Prof. Dr. med. Wolfgang Jilg ist habilitierter Facharzt für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, leitete 20 Jahre lang den Bereich Klinische Virologie und Infektionsimmunologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg und gehörte zwölf Jahre lang der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut an. Im Interview spricht er über die duale Impffortbildung der Österreichischen Apothekerkammer und Impfungen in Apotheken.

Herr Professor Dr. Jilg, Sie sind ein renommierter Impfexperte und haben die Impffortbildung der Österreichischen Apothekerkammer aus nächster Nähe im Rahmen verschiedener Kurse kennengelernt. Welchen Eindruck haben Sie dabei gewinnen können?

Prof. Dr. Jilg: Die gesamte Fortbildung erscheint mir sehr gut und zielgerichtet konzipiert. Die vier Module des Impfskriptums sind aus meiner Sicht inhaltlich perfekt. Der Praxisteil mit Injektionstechnik und spezifischer Erster Hilfe ist inhaltlich und zeitlich ausreichend und bietet eine gute Grundlage, damit Apothekerinnen und Apotheker nach Absolvierung dieser Fortbildung Impfungen kompetent durchführen können.

Wie beurteilen Sie das Niveau der Fortbildung im internationalen Vergleich?

Prof. Dr. Jilg: Das Niveau der Fortbildung in Österreich ist mit der in Deutschland absolut vergleichbar und dürfte auch dem in anderen Ländern entsprechen.

Worauf kommt es bei der Durchführung einer Impfung an?

Prof. Dr. Jilg:  Wichtig ist zunächst die richtige Indikationsstellung im Rahmen der für Apothekerinnen und Apotheker geltenden Ermächtigung, die Feststellung der Impffähigkeit und eine fachgerechte Aufklärung. Eine technisch korrekte Durchführung der Injektion des Impfstoffs ist natürlich ebenfalls essentiell, nicht zuletzt weil dieser Vorgang vom Impfling am stärksten wahrgenommen werden dürfte.

ApothekerInnen zählen in Österreich zu den am besten ausgebildeten ExpertInnen im Gesundheitsbereich und sind seit Jahrzehnten in der Impfberatung tätig. Gibt es nachvollziehbare Argumente, die gegen ein zusätzliches Impfangebot in den Apotheken sprechen?

Prof. Dr. Jilg:  Wenn Apothekerinnen und Apotheker die angebotene Fortbildung der Apothekerkammer erfolgreich abgeschlossen haben und es eine entsprechende rechtliche Ermächtigung für die Durchführung von Impfungen in den Apotheken gibt, an die sich alle halten, dann spricht aus meiner Sicht nichts gegen dieses zusätzliche Impfangebot.

Apotheken sind wohnortnahe und niederschwellige Anlaufstellen im Gesundheitsbereich. In vielen europäischen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder der Schweiz ist Impfen in Apotheken seit vielen Jahren bewährte Praxis. Welchen Einfluss hätten Impfungen in Apotheken hierzulande auf die Durchimpfungsraten beispielsweise bei Influenza oder FSME?

Prof. Dr. Jilg: Das Ziel der Einbeziehung von Apothekerinnen und Apothekern in das Impfen ist ja gerade die Erhöhung der Durchimpfungsraten durch ein Impfangebot an Gesunde, die Ärzte gar nicht aufsuchen würden. Ich bin mir also sicher, dass sich dadurch die Durchimpfungsraten deutlich erhöhen würden.

Sollten Apotheken Ihrer Meinung nach auch in Schutzimpfungen gegen COVID-19 eingebunden werden, deren Auffrischung künftig wohl regelmäßig notwendig sein wird?

Prof. Dr. Jilg: Aus meiner Sicht und der gegenwärtigen Einschätzung der Impfsituation im Kampf gegen COVID-19 erscheint es mir nahezu unumgänglich, Apothekerinnen und Apotheker in die Durchführung von Corona-Schutzimpfungen mit einzubeziehen, weil hier ja fast die gesamte Bevölkerung betroffen ist. Es dürfte also auch im Interesse aller Ärzte liegen, den „Run“ auf die Ordinationen durch Gesunde, die nur eine Impfung benötigen, zu begrenzen. Sehr wahrscheinlich sind Ärzte mit den COVID-Impfungen von Menschen, bei denen aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation bei Indikationsstellung und Aufklärungsbedarf spezielle medizinische Kenntnisse notwendig sind, voll ausgelastet.

Sehr selten kommt es bei einer Impfung zu einer allergischen Reaktion. Muss man Arzt sein, um in einem solchen Fall wirksame Erste Hilfe leisten zu können oder kann das auch ein in spezifischer Erster Hilfe geschulter Apotheker meistern?

Prof. Dr. Jilg: Das kommt auf den Schweregrad der Reaktion an. Bei einem anaphylaktischen Zwischenfall ist schnelle ärztliche Hilfe unumgänglich. Hier ist es wichtig, diese Störung rechtzeitig zu erkennen und sofort ärztliche Hilfe anzufordern. In einer Apotheke, in der geimpft wird, muss daher klar sein, an wen man sich zu wenden hat und dass es notwendig ist, die richtigen Maßnahmen kennen, um die Zeit bis zum Eintreffen ärztlicher Hilfe zu überbrücken – genau das lernen Apothekerinnen und Apotheker während dieser Impffortbildung.

In der Ärzteschaft gibt es einige kritische Stimmen gegenüber Impfungen in Apotheken. Wie würden Sie diese von den Vorteilen dieses zusätzlichen Angebots überzeugen?

Prof. Dr. Jilg: Ein Grund für die Impfung in Apotheken ist die Entlastung der Ärzte – das dürfte vor allem in Zukunft immer wichtiger werden, wenn COVID-19-Wiederholungsimpfungen anstehen. Ein weiterer Grund ist die Hoffnung auf bessere Durchimpfungsraten, die auch allen „impfbegeisterten“ Ärzten wichtig sein sollten.

Zur Person: Prof. Dr. med. Wolfgang Jilg ist habilitierter Facharzt für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Er leitete 20 Jahre lang den Bereich Klinische Virologie und Infektionsimmunologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg und gehörte zwölf Jahre lang der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut an. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen Epidemiologie, Diagnostik und Prävention von Virusinfektionen mit dem Schwerpunkt Hepatitis A, B und E sowie FSME, die Immunologie von Virusinfektionen (EBV, Hepatitis B) sowie die Erprobung von Impfstoffen gegen Hepatitis A, B, FSME, Influenza. Prof. Dr. med. Jilg hat mehrere Lehrbücher zum Thema Impfen verfasst oder mit herausgegeben.

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